ITB-Kolloquium: Jenseits von Lernen und strategischer Funktionalität ‒ Expertengemeinschaften im Produktionssektor. Eine empirisch informierte und pluridisziplinäre Studie

Beginn
09. Mär 2016 15:00
Ende
09. Mär 2016 17:00
Veranstaltungsort
Institut Technik und Bildung
Am Fallturm 1
Eingang A, Raum 2.07
Veranstalter
PD Dr. Rainer Bremer, ITB – Universität Bremen (Moderation)
Dipl.-Soz. Barbara Hupfer, Wissenschaftsjournalistin, Köln (Referentin)
Diplom-Soziologin Barbara Hupfer wird über die zentralen Befunde ihrer Promotion zum Thema „Expertengemeinschaften im Produktionssektor – Orte externer Wissenskooperation“ berichten: Externe, werks- und unternehmensübergreifende Expertengemeinschaften im Produktionssektor resp. Communities of Practice (CoP) von High Professionals sind ein bisher kaum erforschtes Phänomen. Wenn sie dennoch thematisiert werden, so entweder subsumiert unter ein praktisches Wissensmanagement, unter dem unspezifischen Begriff der „lernenden Organisation“ oder unter „Instrumente“, mit denen das Management seine eigenen strategischen Wissensziele verfolgt. Solchen Versuchen bleibt die Spezifik der Expertengemeinschaften im Produktionssektor grundsätzlich verschlossen ‒ auch deshalb, weil sie sich für diese kaum interessieren. Demgegenüber wird – gestützt auf die Befunde ihrer explorativen Experteninterviews – ein empirisch informiertes Konzept vorgeschlagen, in dem es um die Funktionalität dieser informellen, aus der Hierarchie der Formalorganisation ausgekoppelten Wissenskooperationen geht. Es postuliert, dass diese weder im Lernen noch im Erreichen vorgegebener strategischer Ziele liegen kann. Stattdessen sind sie Orte eines selbstregulierten und nur von den Experten selbst zu leistenden – autonomen – Wissens(aus)tausches. Diese Konzeption steht auf drei Säulen.

Wissen/Wissensgesellschaft (Kontextualisierung): Einem nicht-substanzialistischen Wissensbegriff, der „Experten-Wissen“ nicht als kodifizierten und kanonisierten Bestand begreift, vielmehr als eine nicht jedermann zugängliche (unverfügbare), zukunftsoffene Handlungsfähigkeit (Tacit knowledge), als jenes produktions- und innovationsrelevantes Wissen, das Nico Stehr in seiner Konzeption der Wissensgesellschaft dem reproduktiven Wissen kontrastiert.

Kompetenz/Operationalität: Der Einsicht, dass nicht feststellbares, zukunftsoffenes und produktionsrelevantes Wissen nur über die Subjekte dieses Wissens, die Experten, verfügbar ist. Untermauert wird dies mit einer bildungstheoretischen Analyse, die u. a. die Grenzen der Steuerbarkeit einer basal autonomen, sozialen Praxis aufzeigt.

Gerechter Tausch: Einer Antwort auf die ‒ nach wissens- und kompetenztheoretisch angeleiteter Aufklärung des Status der Experten und „ihres“ Wissens ‒ verbleibende, zugleich entscheidende Frage: Wie funktioniert Wissens(aus)tausch zwischen Experten in ihren CoP als einer ko-kompetitiven Praxis? Funktionalistischen Theoriemodellen und traditionellen Tauschtheorien wird eine interne Funktionslogik kontrastiert, die im Funktionsprinzip des „gerechten“ Tauschs kulminiert, der keine ‒ wie die „bürgerliche“ Tradition vermutet ‒ eine der Praxis äußerliche Regel oder Norm ist und auch nicht in subjektiven Dispositionen gründet, sondern in einer bestimmten und unverzichtbaren strukturellen Konstellation dieser Praxisorte selbst fundiert ist.

Für weitere Forschungen zu Communities of Practice (auch außerhalb dieses Sektors) ist festzuhalten, dass gehaltvolle Einsichten nur möglich werden, wenn sie empirisch informiert die jeweilige Spezifik verfolgen ‒ statt diese in vorformulierten Modellen und Theoriepostulaten verschwinden zu lassen.

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